Sonntag, 24. Mai 2020

Zum "Raum der Stille"

von Renate Aschenbach, Bewohnerbeiratsvorsitzende


Als ich am Anfang durch das Haus geführt wurde, lernte ich auch den "Raum der Stille" kennen, wo die Angehörigen von ihren hier Verstorbenen Abschied nehmen können.
Ich war beeindruckt von der Würde und dem Respekt, den dieser Ort ausstrahlt.
Nur etwas Trostreiches wünschte ich mir noch an dieser Stelle. Durch Zufall lernte ich das Gedicht von Hans Sahl kennen und wusste, es gibt keine passenderen Worte des Abschieds.

Und da Frau Kudelka mein Empfinden teilte, wählten wir den Spruch als Wandtattoo, auf das der Blick der Abschiednehmenden in der kleinen Kapelle fällt.

Das Gedicht besteht eigentlich aus zwei parallel gebauten Strophen in der Form des klassischen deutschen Dramenverses (5 mal folgt eine betonte einer unbetonten Silbe). Die erste Strophe beschreibt den Weg des Ichs aus dem Ort (Welt, Landschaft, nicht betretenes Land), die zweite den aus der Zeit heraus (Zeit, Zukunft, war - bin - immer bleiben werde). Diesen Weg geht das Individuum ohne Hektik selbst- und zielbewusst in seiner Unveränderbarkeit, was auch durch die sprachliche Betonung (einzige Zeile mit sechster Hebung:"bleiben werde") deutlich wird.
Sein Weg ist vorgezeichnet, deshalb ohne "Ungeduld und Eile", und alles, was ihn ausmacht, begleitet ihm auf dem Weg aus Raum und Zeit, so dass es ihm hier vermeintlich nie gegeben hat. Durch dass "oder kaum" wird diese Gewissheit aufgehoben.
Es bleibt ein Hoffnungsschimmer, es bleibt etwas von ihm.


„Ich gehe langsam aus der Welt heraus,
in eine Landschaft jenseits aller Ferne,
und was ich war und bin und was ich bleibe
geht mit mir, ohne Ungeduld und Eile,
in ein bisher noch nicht betretnes Land.

Ich gehe langsam aus der Zeit heraus,
in eine Zukunft jenseits aller Sterne,
und was ich war und bin und immer bleiben werde
geht mit mir, ohne Ungeduld und Eile,
als wär ich nie gewesen oder kaum.“

                                          Hans Sahl